Description
The decision on conditional release from prison (Art. 86 – 89 SCC) is one of the most important decisions in the Swiss criminal justice system. At stake are both the freedom of the convicted person, who is to be given a chance of reintegration by the conditional release, and the security of the general public, which must be protected against the commission of further criminal offences. Despite its significance for convicted persons and the society as a whole, the practice of conditional release is scarcely discussed in Swiss literature: What is the procedure for conditional release? How do the opinions of the parties involved in the procedure influence its outcome? How do the persons responsible for conditional release exercise the discretion left to them by the law? The clarification of these issues seems all the more important given that in recent decades the number of conditional release decisions has decreased and there are considerable cantonal differences. The focus of the dissertation is on the process of decision-making by the responsible authorities in Switzerland, in particular the implementation of the right to be heard, as well as the criteria which influence the decision on the conditional release of offenders. The research is based on a representative sample of 943 criminal files from the cantons of Berne, Fribourg, Lucerne and Vaud, which are evaluated using statistical methods (logistic regression). The results of the investigation show that the responsible authorities select only a few aspects from a large number of case characteristics that largely determine their decision-making process. The decision is strongly influenced by the residency status of the convicted person, his criminal record and the opinion of the prison authorities. The legal prognosis is therefore primarily based on static factors from the past, whereas dynamic factors which the convicted person or the involved actors could influence are more secondary. In addition, it emerges that the temporal and cantonal differences in the release rates do not relate to a differing prison population, as it most often assumed, but to a different way of implementing the law and appreciating the profile of prisoners – following a more restrictive or liberal understanding and practice of the release decision – depending on time and canton. The study shows as well that there is no uniform practice for the procedure: the use of risk assessment tools, the opinions of the prison management or the organisation of the right to be heard are extremely disparate and therefore the right of the sentenced person to an equal and fair trial is not guaranteed to the same extent everywhere. The work concludes with a legal classification of the findings as well as with criminal policy considerations and proposals for a more precise reformulation of Art. 86 SCC. These should contribute to a more harmonious and broader application across cantonal borders and therefore strengthen conditional release as an efficient instrument of crime prevention.||"Der Entscheid über die bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug (Art. 86 – 89 StGB) ist einer der wichtigsten Entscheide in der Strafrechtspflege. Auf dem Spiel stehen sowohl die Freiheit der verurteilten Person, die durch die bedingte Entlassung eine Chance auf Wiedereingliederung erhalten soll, als auch die Sicherheit der Allgemeinheit, die vor der Begehung weiterer Straftaten geschützt werden muss. Ungeachtet ihrer kriminalpolitischen Bedeutung ist die bedingte Entlassung in der schweizerischen Literatur bisher kaum beleuchtet worden: Wie ist das Verfahren bei der bedingten Entlassung ausgestaltet? Wie beeinflussen die an der Entscheidungsfindung mitbeteiligten Akteure deren Ergebnis? Wie füllen die zum Entscheid aufgerufenen Personen den Ermessensspielraum aus, den das Gesetz ihnen offenlässt? Die Klärung dieser Fragen erscheint umso wichtiger, als die Häufigkeit der bedingten Entlassung in den letzten Dekaden abgenommen hat und erhebliche Unterschiede in der kantonalen Anwendungspraxis bestehen. Mit der Dissertation soll ein Beitrag geleistet werden, diese Forschungslücke zu schliessen. Im Mittelpunkt stehen der Prozess der vollzugsbehördlichen Entscheidungsfindung, insbesondere die Umsetzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, sowie die Prognosekriterien, die den Entscheid über die bedingte Entlassung von Straftätern beeinflussen. Als Basis dient eine repräsentative Stichprobe von 943 Vollzugsakten aus den Kantonen Bern, Freiburg, Luzern und Waadt, die mit Hilfe von statistischen Verfahren (logistische Regression) ausgewertet werden. Die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass die Vollzugsbehörden aus einer grossen Zahl von Fall‐ und Tätermerkmalen nur wenige Aspekte auswählen, die ihr Entscheidungskalkül weitgehend bestimmen. Ihr Entscheid ist stark geprägt vom ausländerrechtlichen Status des Verurteilten, dem kriminellen Vorleben sowie der Stellungnahme der Anstaltsleitung. Für die Legalprognose kommen mithin primär statische, in der Vergangenheit liegende Faktoren zum Tragen, wogegen dynamische Faktoren, die der Verurteilte oder die am Vollzug mitbeteiligten Akteure beeinflussen und gestalten könnten, eher sekundär sind. Überdies kristallisiert sich heraus, dass die zeitlichen und kantonalen Divergenzen in den Entlassungsquoten nicht nur auf die abweichende Gefangenenpopulation zurückgeführt werden können, wie häufig vermutet wird, sondern ebenso auf je nach Zeit und Kanton ungleich hohe Anforderungen an die Legalprognose. Hinzu kommt, dass die Umsetzung des Verfahrens bei der bedingten Entlassung, die Verwendung von Instrumenten für die Risikoeinschätzung, die Stellungnahmen der Anstaltsleitung oder die Ausgestaltung des rechtlichen Gehörs, äusserst disparat ausfällt und mithin das Recht der verurteilten Person auf ein gleiches und faires Verfahren nicht überall in gleichem Umfang gewährleistet ist. Die Arbeit schliesst mit einer Einordnung der empirischen Befunde sowie mit kriminalpolitischen Überlegungen und Vorschlägen für eine präzisierende Neuformulierung von Art. 86 StGB. Diese sollen zu einer über die Sprach- und Kantonsgrenzen hinweg harmonischeren und breiteren Anwendung beitragen und die bedingte Entlassung als probates Mittel der Kriminalprävention stärken."